Wie Europa auf den Inflation Reduction Act reagieren sollte

Gemeinsame Stellungnahme des Conseil d’analyse économique (CAE), des Sachverständigenrates Wirtschaft und des Deutsch-Französischen Rates der Wirtschaftsexperten

Autoren sind:
Camille Landais, Sébastien Jean, Thomas Philippon, Aurélien Saussay, CAE
Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Ulrike Malmendier, Achim Truger, Martin Werding, Sachverständigenrat Wirtschaft 

Zusammenfassung

Der Inflation Reduction Act (IRA), der 2022 verabschiedet wurde, zielt darauf ab, die Erzeugung und die Einführung erneuerbarer Energie in den Vereinigten Staaten zu fördern, die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen und dem Wettbewerbsdruck aus China wirksam zu begegnen. Dieses ambitionierte Programm der USA, das den Klimawandel bekämpfen soll, ist aus klimapolitischer Sicht zu begrüßen. Einige der  Anforderungen des IRA sind jedoch an “Buy-American”-Bedingungen geknüpft. Das hat insbesondere in der EU Kritik hervorgerufen, da dies den Grundsätzen der Welthandelsorganisation (WTO) widerspricht. Darüber hinaus führt der IRA zu wirtschaftlichen Verzerrungen bei ausländischen Direktinvestitionen und könnte europäische Unternehmen dazu veranlassen, ihre Betriebsstätten in die Vereinigten Staaten zu verlagern.

Der IRA hat eine intensive Debatte über die Ausrichtung der europäischen Industriepolitik ausgelöst, weil er zu einer Reihe von neuen und grundlegenden Herausforderungen für Europa führt und es notwendig macht, die europäische industriepolitische Strategie zu überarbeiten. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie kann die EU die grüne Transformation meistern und gleichzeitig ihre wirtschaftliche und strategische Widerstandsfähigkeit stärken, Arbeitsplätze und Produktivitätswachstum erhalten sowie die europäische Solidarität und internationale Kooperation und Koordinierung aufrechterhalten?

Das Volumen des IRA an sich ist niedrig, und so sollten auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen gering sein

Die Bewertung der makroökonomischen  Auswirkungen des IRA ist schwierig, da schon die Abschätzung des fiskalischen Volumens sehr unsicher ist. Die verschiedenen Schätzungen reichen von 390 bis 900 Milliarden Dollar über den Zeitraum von 2023 bis 2031. Allerdings

(i) ist das Gesamtvolumen der verschiedenen EU-Programme, die bereits initiiert wurden, um die Klimaziele zu erreichen und die grüne Transformation zu erleichtern, mit dem IRA vergleichbar, und

(ii) dürften die Subventionen im Rahmen des IRA sowohl in den USA als auch in der EU nur geringe makroökonomische Auswirkungen haben.

Zwar könnten bestimmte Branchen durch den IRA einen größeren Anreiz haben, in den USA statt in der EU zu investieren. Eine genauere Untersuchung auf sektoraler Ebene zeigt aber, dass diese Effekte sektoral stark begrenzt sind und kaum negative gesamtwirtschaftliche Auswirkungen zu erwarten sind. Daher sind breit angelegte Subventionen nicht zielführend. Vielmehr sollte ein Subventionswettlauf sowohl mit den USA als auch innerhalb der EU vermieden werden.

Der IRA sollte zwingend zu einem Umdenken in der europäischen Industriepolitik führen

Der IRA wirkt vor allem über  Produktions- und Investitionssubventionen, die im Steuersystem verankert und von denen viele nicht gedeckelt sind. Dieser Ansatz alleine dürfte aber nicht ausreichen,  um die Herausforderungen der Dekarbonisierung effizient zu bewältigen. Der europäische Politikansatz, der sowohl auf CO2-Preise  als auch auf gezielte industrielle Interventionen setzt, ist eindeutig überlegen und kosteneffizienter. Gleichzeitig kann Europa aber von der einfachen Ausgestaltung und der schnellen Umsetzbarkeit des IRA-Programms lernen. Es sollte daher eine Priorität sein, die europäischen Prozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Sektorale Unterstützung  sollte sich auf Sektoren konzentrieren, in denen die EU-Mitgliedsstaaten entweder derzeit komparative Vorteile haben oder voraussichtlich entwickeln werden, da dies zu erheblichen ökologischen und technologischen externen Effekten führen dürfte.

Energieversorgung ausbauen, um die Energiepreisunterschiede zu reduzieren

Insgesamt ist zu erwarten, dass die beträchtlichen Energiepreisunterschiede zwischen der EU und den USA deutlich größere Auswirkungen haben dürften als der IRA selbst. Die hohen Energiepreise in Europa beeinträchtigen die Attraktivität Europas als Investitionsstandort und die Wettbewerbsfähigkeit seiner Industrien. Daher sind koordinierte Anstrengungen zur Senkung der Energiepreise in Europa von größter Bedeutung. Dazu gilt es nicht zuletzt, den Einsatz erneuerbarer Energiequellen zu beschleunigen, um die Energieversorgung zu stärken. 

In der konventionellen Stromerzeugung verfolgen Deutschland und Frankreich unterschiedliche Transformationstrategien. Daher plädieren wir für eine gegenseitige Unterstützung in den jeweiligen Anstrengungen und insbesondere dafür, sowohl Kernkraftwerke als auch wasserstofffähige Gaskraftwerke als Übergangstechnologien in der EU-Taxonomie auszuweisen. Beide Länder würden von einer stärkeren Zusammenarbeit beim Ausbau der europäischen Strom- und Wasserstoffinfrastruktur profitieren. Die Reform der europäischen Strommärkte sollte ebenfalls ein zentraler Bestandteil einer europäischen grünen Industriepolitik sein, wobei der Großhandelsmarkt das Hauptinstrument für die Koordinierung des Einsatzes der Stromerzeugung darstellt.

Rohstoffversorgung sichern, Handelsabkommen und internationale Kooperation ausbauen 

Schließlich empfehlen wir, die Rohstoffversorgung zu sichern und Anreize zum Aufbau heimischer Kapazitäten im Rohstoffabbau zu stärken. Anstelle einer wenig aussichtsreichen Beschwerde gegen die USA bei der WTO wäre es unserer Einschätzung nach effizienter, mit den USA bei Regeln für Umweltschutz-Subventionen zusammenzuarbeiten. Dies sollte in einem Rahmen geschehen, in den eine Reihe weiterer Partner eingebunden werden könnten, beispielsweise bei Grenzausgleichsabkommen zu CO2- oder Methanemissionen.

Joint Statement (PDF, Englisch)

Pressemitteilung (PDF)