Auswirkungen der Corona-Krise auf den Strukturwandel: weniger Insolvenzen, mehr Digitalisierung

Im Unterschied zu vergangenen Rezessionen sind in der Corona-Krise weniger Unternehmen geschlossen und weniger Arbeitsverhältnisse beendet worden.
Damit hat die Reallokationsdynamik, anders als in anderen Rezessionen, abgenommen. „Die Unternehmenshilfen, das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht und die Ausweitung der Kurzarbeiterregelung haben, wie von der Politik angestrebt, zu einer Stabilisierung der Unternehmen und der Arbeitsverhältnisse beigetragen. Mit Nachholeffekten in größerem Umfang ist nicht zu rechnen“, erläutert Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates. Der Sachverständigenrat erwartet, dass es auch nach dem Ende der Hilfsmaßnahmen nur zu einem begrenzten Anstieg der Unternehmensschließungen kommen wird und dass davon insbesondere kleine und Kleinstunternehmen betroffen sein werden. Der gesamtwirtschaftliche Effekt dürfte deshalb eher gering ausfallen.

Gerade für kleine und Kleinstunternehmen ist der geltende Insolvenz- und Restrukturierungsrahmen unzureichend. Er sollte um einen vereinfachten Zugang zu Insolvenzverfahren erweitert werden und eine für diese Unternehmen praxistaugliche Restrukturierungsoption enthalten. Eine Reform der Restschuldbefreiung, die aktuell erst nach drei, im Wiederholungsfall sogar erst nach elf Jahren möglich ist, könnte unternehmerisches Potenzial besser schützen. Durch eine Umwandlung von Steuerforderungen in Nachrangdarlehen könnte die Liquidität verschuldeter, aber grundsätzlich tragfähiger Klein- und Kleinstunternehmen gesteigert und so eine Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität erleichtert werden.

Um das Produktivitätswachstum zu stärken, sollte die Gründung innovativer und zukunftsfähiger Unternehmen beispielsweise durch eine bessere Verfügbarkeit von Wagniskapital unterstützt werden. Ein gut funktionierendes Weiterbildungssystem würde die Reallokation von Arbeitskräften zwischen Unternehmen und zwischen Wirtschaftsbereichen fördern und soziale Härten des Strukturwandels abfedern. Eine stärkere Homeoffice-Nutzung und ein größeres Wohnraumangebot in Metropolregionen könnten die Mobilität von Arbeitskräften zwischen den Regionen steigern.

Die Corona-Pandemie hat die Digitalisierung beschleunigt und die Nachfrage nach datenbasierten Diensten drastisch erhöht. Der Anteil deutscher Unternehmen, die digitale Plattformen gewerblich nutzen, ist insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen aber noch gering. Auch die Nutzung von Cloud-Computing-Diensten ist in Deutschland im europäischen Vergleich nach wie vor niedrig.

Wie stark der pandemiebedingte Digitalisierungsschub zum Produktivitätswachstum beitragen wird, hängt maßgeblich von den wirtschaftspolititischen Rahmenbedingungen ab. Um den Datenverkehr und die Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle zu fördern und die technologische Souveränität zu stärken, sollte der digitale Binnenmarkt in der EU vertieft und ein fairer und effektiver Wettbewerb auf digitalen Märkten sichergestellt werden, wie vom Digital Markets Act angestrebt. Die Möglichkeiten zum Teilen und Nutzen von Daten als Produktionsfaktor sollten verbessert werden. Außerdem sollte die EU-weite Vereinheitlichung eines Zertifizierungssystems für Cybersicherheit vorangetrieben werden. Für informierte und rationale Konsumentenentscheidungen auf Online-Märkten bedarf es verbesserter Verbraucherschutzstandards.

„In der Digitalpolitik insgesamt ist eine koheränte und übergreifende Digitalstrategie erforderlich. Eine solche Strategie sollte die verschiedenen Maßnahmen auf Bundesebene stärker verzahnen, priorisieren und Meilensteine definieren“, erklärt Monika Schnitzer.

Mitschnitt aus Pressekonferenz zum Thema Produktivität (MP4)Pressemitteilung Kapitel 4 (PDF)